So ist das also
SIE MIT UNS – zum ersten Mal zusammen. Die Aufregung vor dem ersten Kennenlernen. Die Vorstellung: Wie wird es sein? Oder aussehen? Oder klingen? Sich anfühlen? Wird es mir bekannt vorkommen oder neu? Wird es mich irritieren oder amüsieren? Umschmeicheln oder überrumpeln? Und irgendwann dann der Moment der Wahrheit: SO IST DAS ALSO. So sieht es aus, so klingt es, fühlt es sich an.
NUN, NICHT GANZ. Denn unser langes Eröffnungswochenende 3 TAGE WACH vom 26. bis 28. September hat zu Protokoll gegeben, dass es auf den Bühnen der Hamburgischen Staatsoper diese eine Wahrheit gar nicht gibt. Genauso wenig übrigens, wie es jenseits dieser Bühnen ein und nur ein Publikum gibt! Sie nämlich. Und Sie. Und Sie. Und Euch.
Unser gemeinsames Ankommen wird also immer auch ein gemeinsames Aufbrechen sein, unser Wohlfühlen auch ein Weiterziehen, unser Verweilen auch ein Neugierig Sein. Warum? Weil unser Miteinander – SIE MIT UNS UND WIR MIT IHNEN – schön sein soll, aber auch unbequem, empfindsam, aber nicht genügsam, sensitiv, aber auch impulsiv.
Denken Sie zum Beispiel an die Botschaft unsere Eröffnungspremiere im Großen Haus am Samstagabend, DAS PARADIES UND DIE PERI (hier geht’s zu Trailer, Fotos und Pressestimmen). Angesichts der großen Krisen unserer Gegenwart – Krieg, Pandemie und Umweltverschmutzung – rät Robert Schumanns zeitloses weltliches Oratorium, ganz besonders in Tobias Kratzers Interpretation, mit Nachdruck zur Empathie.
Und face-to-face mit den berückend schönen ersten und den lässig ins Parkett geschnippten letzten gesungenen Zeilen des Housewarming Concerts, wurde klar, wie groß die Bandbreite dieses Mit- und Miteinander-Fühlens sein kann – eben auch: zwischen Hölderlin und Udo Jürgens, im „Einklang freier Wesen“ „bis ans Ende meiner Lieder“. So überspannen die Melodien dieses Miteinanders durchaus Jahrhunderte, seinen Rhythmus aber bestimmt: DER HERZSCHLAG UNSERER ZEIT.
Ganz klar und pur fuhr der uns durch die Glieder, während Schlagzeuger Matthias Schurr und Pauker Brian Barker vom Staatsorchester auf dem Podest der neuen Framing Hall IM DICHT GEDRÄNGTEN FOYER drei Soli performten, begleitet von Aleix Martínez‘ Hinter-Glas-Choreografie Wanderer und sechs jungen Tänzer:innen des Hamburg Ballett. Oder als gegen Mitternacht Stimming sein Elektro-Set begann. Aber auch beim ungewöhnlich privaten Poppea-Duett zwischen Peri-Sängerin Vera-Lotte Boecker und Omer Meir Wellbers Akkordeon im ausverkauften Saal. Ja sogar in der glamourösen Spirituals Sequence von Drag-Bariton Le Gateau Chocolat. Haben Sie sie da nicht auch gespürt? DIESE UNERGRÜNDLICHE BEREITSCHAFT, SICH VON ETWAS BERÜHREN ZU LASSEN?
„Kunst kann die Welt nicht retten. Aber sie kann dein Dasein in der Welt retten.“ Zum Rahmen schön formulierte diesen Anspruch bei der Eröffnungsdiskussion Verhältnis – Kunst & Krise am Samstagnachmittag der dänische Soziologe Nikolaj Schultz. „Wir spielen im Theater die Welt als eine veränderbare“, so Kultursenator Carsten Brosda, was im Umkehrschluss bedeutet: „HIER WIRD RELEVANTES ENTSTEHEN.“ Kunst finde dort statt, wo sich die Zukunft einer Gesellschaft gestalte, erklärte die Künstlerin Jorinde Voigt. Zur durchlässigen, kommunikativen Gestaltung dieses Ortes, maximal einladend für die eben erwähnte Zukunft, spricht ihr Bodengemälde Potential von jetzt an in unserem Parkettfoyer Bände (mehr zur Neugestaltung der Foyers).
Denn dazu braucht’s: Ein Außen, das ins Innen schwappt, ach was: flutet! Die Stadt nämlich in ihr Opernhaus – und umgekehrt: ein Haus, das zurückstrahlt. Das Erlebnis beginnt bereits vier, fünf Schritte davor, um Carsten Brosda zu zitieren, heißt: Die gläserne Fassade bereitet es schon vor. Im Reinschauen, im Rausschauen werden Übergänge TRANSPARENT UND FLIESSEND. Ja, das war immer so. Nun aber finden Sie auch in unseren ebenso neu- wie im ursprünglichen Sinne des Architekten der 50er Jahre zurückgestalteten Foyers, auf allen Ebenen BERÜHRUNGSORTE FÜR KOPF, HERZ, MAGEN, KURZ: ALLE SINNE. Womit wir nicht meinen, dass wir nun jeden Freitag vom Balkon im 4. Stock aus Egerländer Musikanten in die Hamburger Nacht hinaus blasen lassen, auf dass es von den umliegenden Bürogebäuden nur so echot.
Zweitens braucht’s die ÜBERZEUGUNG, dass der künstlerische Prozess nicht mit den letzten Proben eines Stückes an der Rampe endet. Selbst eine Opernbühne wird erst dann zur Bühne, wenn es ein Publikum gibt. Und jede Aufführung lebt von unzähligen, unwiederholbaren Momenten der Chemie zwischen beiden. Sie schauen zur Bühne, aber seien Sie sich gewiss: DIE BÜHNE SCHAUT AUCH ZURÜCK.
Genau das haben Sie natürlich auch bei unserer Premiere am 3. wachen Tag, dem Festival-Sonntag erlebt! Denn in der Kinderoper DIE GÄNSEMAGD (hier geht’s zu Trailer, Fotos und Pressestimmen) werden unsere jüngsten Staatsopern-Fans als Gänseschar im Bühnenbild zum aktiven Teil der Inszenierung. Anschließend standen ihnen die Komponistin Iris ter Schiphorst und Regisseur Tobias Kratzer Rede und Antwort. „RAISE YOUR VOICE“, schmetterten die Alsterspatzen beim Singalong im Kanon – und Sie und Ihr und Wir sangen mit ganzer Stimme mit.
Wenn der Ton die Musik macht, geben viele Töne ein Konzert. Und von diesem vielstimmigen Konzert vibrierte die Staatsoper am Freitag, vom frühen Abend bis in die tiefe Nacht hinein. Erinnern Sie sich, was IHRE MAGISCHEN MOMENTE darin waren? War es vielleicht, als Nikolaus Habjan zum ersten Mal das hohe F der Königin der Nacht über seine Lippen brachte? Und zwar: pfeifenderweise. UND DAS: MÜHELOS. War’s Ina Müller, die gemeinsam mit den „fabelhaften Opern-Boys“ Tobias Kratzer, Omer Meir Wellber und dessen „Kapelle“ aka Philharmonisches Staatsorchester durch den Abend führte? Oder war es im Videogruß der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek der Satz: „Ich muss mir in einer Oper nicht vergegenwärtigen, was Oper ist“?
„Jetzt hat man so ein Opernhaus – und was stellt man damit an?“, fragte der Intendant rhetorisch. Die Antwort nach diesem ersten langen Wochenende mit Ihnen an der Dammtorstraße ist einfach: Alles war Bühne, alles war Klang. ALLES, WAS OPER KANN.