„Diese Produktion ist ein Juwel“
L’ELISIR D‘AMORE. Als Wunderdoktor Dulcamara ist Erwin Schrott in Donizettis „Liebestrank“ zu erleben. Im Gespräch berichtet der beliebte Bassbariton vom besonderen Charme dieser Partie, verrät, wie ein Sänger mit dem Alter an Wahrheit gewinnt, warum der Tango durchaus zur Hanseatischen Kühle passt und die Staatsoper für ihn wie ein zweites Zuhause ist.
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Komische Figuren, leichtere Kost … Mögen oder sogar: brauchen Sie diese Vielfalt und Abwechslung zu den ernsteren, tragischen Rollen?
Ich liebe die Vielfalt, das ist wie jeden Morgen frische Luft zu atmen und eines der Dinge, die ich an meiner Beruf am meisten schätze. In tragischen Rollen hat man es mit dem Teufel zu tun oder Verrat und sogar Tod. Während Komödien ein Spielplatz sind: Einfachere Handlungen bedeuten mehr Raum für Unfug und dafür, mit den Erwartungen des Publikums zu spielen. Ich liebe diese Abwechslung, sie wirkt fast therapeutisch. Nachdem ich den Mephistopheles gespielt habe, fühlt es sich genau richtig an, in Dulcamaras Haut zu schlüpfen.
Können Sie diesen „bittersüßen“ Scharlatan Dulcamara einmal beschreiben? Seinen Charakter, seine Stimme, wie agiert er?
Dulcamara ist der ultimative Verkäufer, ein reisender Arzt, der „Wunderelixiere” verkauft, die in Wahrheit nur billiger Bordeaux sind. Er ist schamlos, aber mit einem Augenzwinkern, das ihn eher liebenswert als bösartig macht. Stimmlich erfordert die Rolle Beweglichkeit – wie in seiner Eröffnungsarie „Udite, udite, o rustici”, in der du die Worte wie eine Maschinengewehrsalve ausspucken musst, dabei aber jede Note reichhaltig und klangvoll bleibt. Kein Platz für Nachlässigkeit, alles dreht sich um Präzision. Schauspielerisch gebe ich ihn als zappeligen Showman mit übertriebenen Gesten und einem Charme, der sagt: „Ich weiß, dass ich euch auf den Arm nehme, aber macht es nicht Spaß?“ Er ist nicht böse, er ist opportunistisch, ein Spiegel unserer eigenen Wünsche nach schnellen Lösungen. Wenn ich darüber nachdenke, sind beide, Dulcamara und Mephistopheles, ewige Lieferanten schneller Lösungen. Dulcamara heute? Er wäre der ultimative TikTok-Wellness-Guru: Ein Schluck von meinem viralen Elixier und du bist in meinen Direktnachrichten.
Unsere Produktion ist 1977 entstanden. Was macht sie in Ihren Augen so zeitlos?
Sie ist ein Juwel, das wie ein guter Wein gereift ist, oder sollte ich sagen: wie Dulcamaras Bordeaux! Sie hat einen klassischen Touch und konzentriert sich auf die universelle Geschichte von Liebe, Eifersucht und menschlicher Torheit, die in einer ländlichen baskischen Ortschaft spielt. Was sie so zeitlos macht? Ich denke, ihre Einfachheit. Es braucht kein Hightech, diese Produktion atmet Donizettis ursprünglichen Geist von 1832.
In meinen Interviews fällt immer wieder der Satz: „Damals war ich eigentlich noch viel zu jung für diese Rolle.“ Wie wird man als Sänger älter? Erweitert man sein Stimmvolumen, sein künstlerisches Volumen? Freut man sich auf Partien, die einem in jüngeren Jahren noch verwehrt sind? Welche Partien sind das bei Ihnen?
Als Sänger älter zu werden bedeutet nicht, dass man seine Leidenschaft verliert; es bedeutet, rohes Feuer gegen stärkere Flammen einzutauschen, die länger und heißer brennen. Der Stimmumfang explodiert nicht, sondern wird bei einem Bassbariton wie mir tiefer und voller, so wie ein guter Wein im Fass. Man gewinnt Ausdauer für die Marathon-Abende mit Verdi oder Wagner und Kontrolle, um als Mefistofele höllische Versuchungen zu flüstern. Die wahre Magie jedoch liegt im menschlichen und künstlerischen Wachstum. Jugend bringt Bravour, Alter bringt Wahrheit. Man erlebt Einsamkeit, Macht, Reue, man singt nicht nur darüber. Alles kommt zur richtigen Zeit: In meinen Dreißigern wäre Philipp II. in Don Carlos zu viel Verrat und Sterblichkeit für eine junge Seele gewesen. Jetzt? Erst vor kurzem habe ich in dieser Saison in München seinen traurigen Thron bestiegen und jedes Wort von „Ella giammai m’amò“ gespürt, diesem schmerzhaften Selbstgeständnis eines Königs, der das größte Reich beherrscht, nicht aber die Liebe: überhaupt nicht wie ein Donner, sondern wie ein Vater und Ehemann mit gebrochenem Herzen.
Lassen Sie uns ein paar Worte über den Tango sprechen: Ihre Leidenschaft dafür liegt in Ihrer südamerikanischen Heimat, nehme ich an. Was bedeutet Ihnen der Tango?
Tango ist nicht nur Musik oder Tanz, für mich ist er einer der beiden Pulsschläge in meiner Seele. Möglicherweise lag es in der Luft, die ich in meiner Kindheit in Montevideo einatmete.
Ich bin mit beiden Seiten der Medaille aufgewachsen, denn mein Vater war ein leidenschaftlicher Tango-Liebhaber, der Abend für Abend Gardel, Piazzolla, Troilo sich auf dem Plattenteller drehen ließ, was unser Haus mit dem schmerzlichen Klang des Bandoneons erfüllte. Und meine Mutter? Eine hingebungsvolle Opernliebhaberin, Puccini, Verdi, die Callas hallten durch die Räume unseres Hauses. So wuchs ich in einem herrlichen Konflikt auf, zwischen der rohen, sinnlichen Umarmung des Tangos auf der einen Seite und dem großen, hochdramatischen Opern auf der anderen. Obschon sie Welten voneinander entfernt schienen, waren sie für mich wie Geschwister, denn beide erzählen Geschichten von Liebe, Verrat, Leidenschaft und Schicksal. Der Hauptunterschied besteht darin, dass die eine drei Stunden benötigt, um das Drama zu entwickeln, während der andere nur drei Minuten dazu braucht. (Lacht.)
Seltsamerweise hat mir das Tangotanzen etwas beigebracht, das ich für die Oper benötigte: die Phrasierung, die gleich einem Tanzschritt atmet. Und dank des schönen Widerspruchs meiner Eltern musste ich mich nie zwischen Feuer und Erhabenheit entscheiden – ich lerne von beiden.
Also ist der Tango eine Art Lebensphilosophie? Und wird in jeder Ihrer Produktionen ein Stück weit mitwirken?
Unbedingt, denn Tango lehrt Resilienz, historisch gesehen stammt er aus Armut und Migration. Tango als Philosophie bedeutet, die Widersprüche des Lebens zu umarmen, etwa Freude in Trauer oder Stärke in Verletzlichkeit. Carlos Gardel, die Ikone des Tangos, sagte einmal, Tango sei ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann. Diese Dualität spiegelt das Drama der Oper wider. Ob es in meinen Auftritten immer ein Stück weit Tango geben wird? Nur wenn es die Regieeinfälle verlangen!
Hamburg ist bekannt für seine „Hanseatische Kühle“. Wie können Sie Leidenschaft, Feuer und Temperament damit in Einklang bringen? Was verbindet Sie mit Hamburg und der Hamburgischen Staatsoper?
Hanseatische Kühle? Das ist die höfliche Art, reserviert und effizient zu sagen im Gegensatz zu lauter und freimütiger Herzlichkeit? Wie ein gut geöltes Schiff! Aber Hamburg hat auch Feuer. Ich bringe mein lateinamerikanisches Temperament in meine Auftritte mit ein, die Kühle hier erdet mich und schafft einen schönen Kontrast. Das Publikum mag zunächst zurückhaltend sein, aber am Ende ist es entflammt! Was mich verbindet? Vergessen Sie nicht, dass ich trotz meines sehr südamerikanisch klingenden Namens zur Hälfte Deutscher bin, und meine deutsche Disziplin ist mein alltägliches Gerüst, während mein lateinamerikanisches Blut jeden Abend das Haus auf den Kopf stellt. Die Staatsoper ist für mich wie ein zweites Zuhause, und ich habe mit 24 Jahren zum ersten Mal in Hamburg gesungen, als ich den Operalia-Wettbewerb gewann. Die Staatsoper ist superprofessionell, innovativ, dennoch traditionbewusst. Hamburgs Mischung aus Disziplin und Kreativität spiegelt mein eigenes Innerstes. Außerdem erinnert mich die Elbe an den Rio de la Plata – zwei Flüsse, die Welten verbinden.
Das Gespräch mit Erwin Schrott führte Teresa Grenzmann am 17. Dezember 2025.