Alles bedeutet Alles

„Die beste Così-Produktion, die ich je gemacht habe“, schwärmt Omer Meir Wellber. Die Verbindung zwischen ihm und Mozarts Dramma giocoso COSÌ FAN TUTTE ist eine besondere – und genau das macht unsere Wiederaufnahme von Herbert Fritschs Inszenierung zu einem echten Erlebnis. Im Interview spricht der Generalmusikdirektor über seine Lust an der Improvisation, erklärt, inwiefern Mozart ein bahnbrechender Virtuose war und warum C-Dur die musikalische Genesis ist, in diesem Fall sogar: die Liebe.

 

Du hast ein ganzes Buch über deine „Momente mit Mozart“ geschrieben. Es heißt Die Angst, das Risiko und die Liebe – und genau dies sind die drei Themen, die du darin den Da-Ponte-Opern Don Giovanni, Die Hochzeit des Figaro und Così fan tutte zuordnest. Woher kommt deine besondere Verbindung zu Mozart?

Omer Meir Wellber: Ich habe in Dresden den ganzen Mozart/Da Ponte gemacht und etwa 200 Vorstellungen dirigiert. Nach ein paar Jahren hatte ich das Gefühl, ich möchte etwas über Mozart sagen, die vielen Dinge teilen, die ich verstanden habe. Das Buch ist also ein Resultat dieser unglaublichen, schönen Zeit in Dresden. Eine solche Verbindung zu Mozart zu haben, ist für mich eher eine Überraschung: Am Anfang war ich skeptisch, denn eigentlich langweilt es mich, über die Top-Komponisten zu reden. Tatsächlich lassen sich so viele schöne Aspekte in Mozarts Musik finden! Dazu musste ich ihn aber erst tiefer kennenlernen, eine richtige Verbindung zu ihm aufbauen.

 

Du schreibst: „Es ist leichter aufzuzählen, was es in Così fan tutte alles nicht gibt, als was es gibt.“ Weil Oper sich darin so ungewöhnlich nahbar und zeitlos präsentiert: Auf der Bühne stehen sechs Protagonist:innen, drei Paarungen, das Ganze spielt in Neapel, ein regelrechter Tanz auf dem Vulkan, denn bald geht es um Begierde, Verführung, Eifersucht und Treue …

Omer Meir Wellber: Ich denke, in dieser Oper soll die Idee von Liebe durch die Perspektive der Eifersucht herausgearbeitet und verstanden werden. Deswegen folgt auf den sehr rhythmischen Ersten Akt auch ein langsamerer Zweiter Akt: Arie auf Arie, was sehr schön ist, geht es jetzt in die Tiefe. Abseits der Paar-Konstellationen mit ihren Fragen vermitteln die Arien nun etwas sehr, sehr Persönliches. – Es ist immer interessant zu sehen, was ein Komponist entscheidet. Mozart hat die Texte von Lorenzo Da Ponte bekommen. Was hat er als Arie geschrieben, was als Duett, als Terzett, als Sextett. Und was hat er „nur“ Rezitativ sein lassen. Ein anderer Komponist hätte vielleicht anders entschieden. Mozarts Entscheidung aber ist in dieser Oper, besonders im Zweiten Akt, wo es persönlicher wird, sehr klar: Die Bewegungen liegen in den Rezitativen. Und die intimeren Momente liegen in der geschriebenen Musik.

 

Die Poesie solle „der Musick gehorsame Tochter seyn“. So Mozart 1781, neun Jahre vor seinem späten Così, den du im Buch wie einen Befreiungsschlag aus musikalischen Konventionen beschreibst. Ist dies das Revolutionäre an Mozarts Haltung?

Omer Meir Wellber: Es ist eines der ersten Beispiele – 50 Jahre vor Wagner – für eine sehr, sehr tiefe Verbindung zwischen Text und Musik. Die Musik ist hier nicht mehr nur Begleitung: Jedes Intervall, jede Harmonie … alles bedeutet alles, die ganze Zeit. Das ist sehr neu und auch sehr virtuos zu Mozarts Zeit. Jede Oper besitzt ihre eigene Tonalität, ihren Klang. Doch vor Mozart waren die Entscheidungen über G-Dur oder E-Dur rein praktische: Dieser Sänger kann das besser in dieser Tonart singen? Dann machen wir es so. Es waren keine psychologischen oder philosophischen Entscheidungen, das ist schon ein sehr, sehr neues Konzept. Und die Entscheidungen, die Mozart für Così fan tutte trifft, sind unglaublich schön.

 

Die Oper beginnt und endet in C-Dur. Was bedeutet das also?

Omer Meir Wellber: Mozart macht es nur bei Così, nur hier gibt es C-Dur. C-Dur ist der Anfang – es ist wie die musikalische Genesis, die Schöpfung. Wenn also Mozart eine Oper über die Liebe schreibt, bedeutet C-Dur: Die Liebe ist das, wo alles beginnt und endet.

 

Dennoch – oder gerade deswegen? – lässt uns die Oper ein bisschen ratlos zurück: Ist dieses Ende nun positiv oder negativ …

Omer Meir Wellber: Es ist absolut offen. Und auch das ist interessant. In der „Prager Fassung“ von Don Giovanni gibt es diese sehr moralische Szene am Ende, auch in Le nozze di Figaro. In Così fan tutte gibt es das nur für einen kurzen Moment, doch alles bleibt sehr offen: Wer weiß, was nun passieren wird und warum … Letztendlich geht es um Kommunikation: Sie haben gespielt und sie haben ausprobiert, wie es ist, den anderen zu provozieren. Vielleicht wäre es im Endeffekt besser gewesen, miteinander zu reden, einfach nur zu sagen: Ich möchte auch mit anderen Leuten ins Bett gehen, was machen wir? Denn das ist das Thema. Und deswegen hängen sie am Ende auch ein bisschen in der Luft. Und die Frage steht im Raum: War‘s das wert?

 

Gerade dadurch wird die Oper sehr zeitgemäß, oder? Der Plot wirkt ja heute fast wie das Skript zu einer der vielen Dating Shows …

Omer Meir Wellber: Ja, ich denke, das ist eine gute Frage. Alle reden gerade über Open Relationships, offene Beziehungen, und was in dieser Oper verhandelt wird, trifft auch für 90 Prozent dieser Situationen zu: Es gibt immer den, der die Paar-Beziehung mehr will als der andere. Und dann gibt es den, der weniger will, aber das nicht sagt. Schlussendlich kann genau das zu großen Problemen führen. In Così kommt dazu, dass Don Alfonso die Idee zum Partnertausch hat, der religiöse Mann in diesem Spiel. Der Impuls zu diesem großen Test kommt also ausgerechnet von der Kirche.

 

Die Inszenierung von Herbert Fritsch ist sehr bunt, die Darstellung abstrakt. Wie  passt das mit deiner musikalischen Idee zusammen?

Omer Meir Wellber: Da ist sehr viel Energie und das funktioniert sehr gut. Für mich ist es die beste Così-Produktion, die ich je gemacht habe, ich mag sie sehr.

 

Was auch an deinem besonderen Umgang mit den Rezitativen liegt.

Omer Meir Wellber: Für mich sind die Rezitative, die etwa 40 Prozent ausmachen, die vielleicht besten Momente in Mozarts Oper. Es passiert sehr viel darin und man kann sehr viel damit machen. Eine Oper wie Così fan tutte ohne Rezitative wäre sehr schöne Musik, aber auch sehr „normal“ und einfach. Die Rezitative vertiefen die Verbindungen zwischen den sechs Charakteren. Bei uns sind es die Momente meiner Improvisationen: Am Hammerklavier reagiere ich auf die Bühne – und alles ist offen, denn Mozart schreibt nichts vor, es gibt nur die Harmonien.

 

Insofern passt auch diese Produktion sehr gut zu deinem Spielzeitmotto ZeitSpiel.

Omer Meir Wellber: Ja, und in dieser Oper ist es noch ein bisschen einfacher, jeden Abend zu etwas Einzigartigem zu machen. Denn wenn du die Partitur richtig gut kennst, dann hast du Raum genug für die Freiheit der Improvisation. Und deswegen macht es so viel Spaß.

 

Also ist die Botschaft ans Leben vielleicht auch: ein bisschen weniger zu planen?

Omer Meir Wellber: Bei mir? Auf jeden Fall. Let’s see what happens!

 

Das Gespräch mit Omer Meir Wellber führte Teresa Grenzmann am 8. Oktober 2025.