INTERVIEW: Ende gut, alles gut?
Magdolna Parditka und Alexandra Szemerédy im Gespräch mit Katinka Deecke und Judith Wiemers
Im Libretto ist der Ausgangspunkt der Handlung die Verschleppung einer Kyjiwer Fürstentochter durch einen übermächtigen bösen Zwerg. Gibt es für Euch darin Anknüpfungspunkte an die aufgeheizte Weltpolitik?
ALEXANDRA SZEMERÉDY Natürlich besitzt der Stoff allein durch den Ort der Handlung momentan eine extreme politische Brisanz, aber ich denke es wäre viel zu einfach und würde dem Stück absolut nicht gerecht, die Story eins zu eins auf die Tagespolitik übertragen zu wollen. Uns bewegen hier vor allem gesellschaftspolitische Fragestellungen. Für mich handelt es sich bei Ruslan und Ljudmila in erster Linie um ein Märchen, die Geschichte ist durchwoben von magischen Elementen. Wir lesen dieses Märchen aber neu und interessieren uns für Menschen, die aus eingefrorenen Geschlechterrollen ausbrechen wollen, die sich nicht mit vorgefertigten Bildern von Liebe oder Identität zufriedengeben, die ihren eigenen Weg gehen wollen, auch wenn er gegen den Strom führt. Es geht für mich also um Widerstand in einem rauen, patriarchalen Umfeld, wo „compulsory heterosexuality“ die Norm ist. Mich beschäftigt die Frage, ob ein Individuum trotz vorgeprägter Geschlechterbilder zur eigenen Stimme finden kann.
Wie kam es zu der Idee, die mittleren Akte in der spektakulär gebauten U-Bahn-Welt zu situieren?
ALEXANDRA SZEMERÉDY Tschernomor ist ein böser Zauberer, der Ljudmila mitten aus dem Leben reißt. In meiner Interpretation ist er eigentlich der Tod selbst. Insofern hat die Geschichte für mich sehr viel mit dem Orpheus-Mythos zu tun. Deshalb spielt unsere Story in einer Art Unterwelt, ein Gegenentwurf zur privilegierten Hochzeitswelt der Gesellschaft an der Oberfläche, wo eine eiskalte Perfektion herrscht und dem Eiskunstlauf-Star Ljudmila von Papa keine Fehler verziehen werden. Ruslan muss dieses Upside-Down-Universum und seine eigenen Gesetzmäßigkeiten kennenlernen, er muss darin wie in einem Labyrinth zurechtkommen, um den Weg zu Ljudmila oder viel eher zu sich selbst zu finden. Das U-Bahn-Labyrinth ist aber eigentlich aus seinen Ängsten und Selbstzweifeln gebaut. Als Ruslan sich gezwungen fühlt, sich den eigenen Sehnsüchten, die aber nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen, zu stellen, sieht er keinen anderen Ausweg als den Tod. Er empfindet die Liebe zu seinem besten Freund Ratmir als Entgleisung und ist bereit die Notbremse zu ziehen. So wird seine ursprüngliche Suche zum Selbstvernichtungstrip.
MAGDOLNA PARDITKA Am Anfang versucht Ruslan, männliche Stereotypen zu bedienen. Erst während seiner Suche nach Ljudmila formt sich sein Charakter. Aber genau auf diesem Weg findet er nicht nur Ljudmila, sondern auch Ratmir und sich selbst. Die Frage ist dann noch, ob er Ljudmila – oder sich selbst? – aus dem Dornröschenschlaf erwecken kann.
Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Programmheft zur Produktion.