DIE PEST KLOPFT AN DIE TÜR

Das Sonderkammerkonzert mit Harfe rankt sich um Erzählungen von Edgar Allan Poe

Ein außergewöhnlich spannendes Programm erwartet am kommenden Sonntag, 30. November alle Besucher:innen des Sonderkammerkonzerts: Die Harfenistin Clara Bellegarde bringt gemeinsam mit dem Amaris Quartett – Hibiki Oshima und Felix Heckhausen (Violine), Maria Rallo Muguruza (Viola) und Clara Grünwald (Cello) – zwei Erzählungen des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe (1809–1849) musikalisch auf die Bühne. Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie rahmen diese beiden Kompositionen von André Caplet und Philippe Hersant ein Streichquartett von und eines „in Gedenken an“ Robert Schumann. Ein Gespräch mit den fünf Musiker:innen des Philharmonischen Staatsorchesters.

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Kateryna Nigbur

Woher kamen die Impulse zu diesem Sonderkammerkonzert, zu dem eine Harfe den Ton angibt?

Felix Heckhausen Wir Vier sind ja ein festes Quartett, und schon lange einmal wollten wir etwas mit Clara zusammen machen. Das Gute daran ist: Im Orchester kann ich mir nie aussuchen, wer Dirigent ist und wer Solist, wer meine Kollegen sind. Hier, in der Kammermusik können wir alles selbst bestimmen: Welche Stücke wir spielen und mit wem wir sie spielen.

Eine gegenseitige Liebeserklärung!

Clara Bellegarde Oh ja! [Lacht.]

Hibiki Oshima Mit Clara zu spielen macht sehr viel Spaß!

Felix Heckhausen Es ist total spannend, als Quartett auf den Klang der Harfe, diese völlig andere Farbe, zu reagieren. Er kommt als Bereicherung dazu, und dadurch verändert sich, wie wir spielen, wie wir aufeinander hören – und er beeinflusst unser Miteinander auf subtile, aber entscheidende Weise.

Für dieses Konzert habt ihr euch zu fünft zusammengesetzt. Wie ist dann das Programm entstanden, was stand ganz am Anfang?

Clara Bellegarde Am Anfang des Programms stand André Caplets Conte Fantastique d’après „Le Masque de la Mort Rouge“ – diese wunderschöne Musik war unsere erste Wahl. Dann hat uns die Kammermusikkommission die Aufgabe gegeben, Stücke zu finden, die damit in Verbindung stehen könnten. Diese Verbindung bilden nun die Erzählungen von Edgar Allan Poe. Die Maske des Roten Todes  ist ein sehr bildhaftes Stück, sehr geheimnisvoll, aber auch festlich – musikalisch also sehr, sehr interessant. Sozusagen als Parallelstück dazu haben wir Philippe Hersants Usher gefunden. Es wurde komponiert nach Poes Erzählung Der Untergang des Hauses Usher.

Felix Heckhausen Weil wir nicht vier Stücke mit Harfe machen können, haben wir überlegt, was könnte noch dazu passen? Und Robert Schumann gefunden.

Hibiki Oshima Das Streichquartett Nr. 1 a-Moll op. 41 hat musikalisch gut dazu gepasst: Es ist auch sehr melancholisch …

Felix Heckhausen … und auch ein bisschen schwärmerisch. Dazu haben wir ein moderneres Stück gesucht und von Aribert Reimann das „Adagio in Gedenken an Robert Schumann“ ausgewählt.

… und das ist fast ein kleines ZeitSpiel – um auf das Spielzeitmotto und -konzept von Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber zurückzukommen, das in alle zehn Philharmonischen Konzerte eine Neukomposition integriert.

Felix Heckhausen Das hat sich hinterher zufällig für uns so ergeben. In den Symphoniekonzerten haben wir diese interessanten neuen Überschreibungen einzelner Sätze durch moderne Komponisten. Und hier haben wir den Reimann als Kommentar zu Schumann, „in memoriam“.

Was spielt bei der Zusammenstellung eines solchen Kammerkonzert-Programms eine Rolle? Gibt es so etwas wie eine bewährte Zutaten-Liste?

Felix Heckhausen Ich glaube, gut ist, mit etwas anzufangen, das die Leute noch nicht kennen und sie etwas fordert, etwas Modernem zum Beispiel. Das sollte auch gar nicht so laut sein – um im Saal erst einmal eine spannende Atmosphäre entstehen zu lassen und das Publikum dazu aufzufordern zuzuhören. Das finde ich oft interessanter als wenn man gleich mit etwas Pompösen einsteigt, dann ist es „eine gmahde Wiesn“, wie der Bayer sagt, „eine gemähte Wiese“.

Clara Bellegarde Hersant selbst hat gesagt: Es ist ein atmosphärisches Stück. Er wollte gar nicht, dass es so bildhaft ist, wie zum Beispiel Caplet mit Edgar Allan Poes Erzählung umgeht. Er wollte einfach nur die Atmosphäre, manchmal auch: die Stille genießen.

Felix Heckhausen: Wenn danach in unserem Programm der Schumann kommt, dann sind die Ohren offen. Das Konzert spannt einen Bogen: Die Harfe ist am Anfang und am Ende, dazwischen befinden sich der Schumann und das Stück über Schumann. Ich finde, das ist eine ganz runde Sache.

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Kateryna Nigbur

Also ist es ein besonderer Reiz der Kammerkonzerte, dass man sie kuratieren kann, Musikstücke in einen Kontext zueinander bringen kann, die normalerweise nicht zusammen zu hören wären. Noch dazu in einem kürzeren Format, bei dem man das Publikum ganz anders mitnehmen kann: Was gefällt euch daran?

Clara Grünwald Die Interaktion sowohl untereinander als auch mit dem Publikum ist bei Kammermusik viel direkter. Im Orchester ist man aus Sicht des Publikums ja eher eine anonyme große Gruppe – bei Kammermusik kann man viel genauer beobachten, wer spielt eigentlich was, man kann die Stimmen besser verfolgen. Weil wir unsere Stimme allein spielen, ist es wirklich, wie wenn wir miteinander sprechen würden. Ab und zu Kammermusik zu hören oder zu spielen, ist sehr spannend und ein sehr schöner Ausgleich, sowohl fürs Publikum als auch für uns.

Maria Rallo Muguruza Das Schöne an der Kammermusik ist für mich: Jeder hat etwas zu sagen, jeder bringt ganz offensichtlich etwas von sich selbst mit ein. Man spürt viel mehr die Persönlichkeit.

Felix Heckhausen Die ist im Kollektiv natürlich nur bis zu einem gewissen Grad erwünscht: In einer Gruppe von 14 Frauen und Männern versuchen wir, möglichst gut eine Einheit zu bilden. Auch im Kammerkonzert müssen wir sehr gut zusammenspielen, aber es passiert etwas zwischen uns Musiker:innen. Gerade für Leute, die nicht so viel mit klassischer Musik zu tun haben, kann es auch deshalb interessant sein, ein Quartett oder Quintett zu erleben, weil man die Interaktionen auf der Bühne sieht.

Hibiki Oshima Natürlich ist das Spielen sehr viel direkter. Und alle tragen mehr Verantwortung. Das ist natürlich eine Herausforderung, aber eine schöne. Und ein super Kontrast zu einer Mahler-Symphonie zum Beispiel. Bei Schumann an Kleinigkeiten zu arbeiten … das genieße ich sehr.

Wie lang gibt es denn euer Amaris Quartett schon?

Hibiki Oshima Seit sechs Jahren und in dieser Formation seit fünf Jahren.

Ihr tretet also auch außerhalb des Philharmonischen Kontextes auf?

Felix Heckhausen Wir versuchen es. Aber es ist eine Herausforderung, wenn man hauptberuflich in der Staatsoper und im Philharmonischen Staatsorchester tätig ist, überhaupt noch so viel nebenher zu machen.

Mit wie vielen Proben plant ihr denn für ein solches Kammerkonzert?

Felix Heckhausen Wir haben sechs Proben mit Clara an der Harfe zusammen. Wir als Quartett proben natürlich immer zwischendurch und haben auch immer wieder ein neues Programm. Deswegen waren wir auch gestern in Lübeck zum Unterricht bei Heime Müller – früher vom Artemis Quartett, heute Professor für Kammermusik. Dieser Input von außen ist uns sehr wichtig, weil wir das Amaris Quartett auf den Punkt bringen möchten.

Hibiki Oshima Als Profimusiker:innen sind wir im ständigen Output-Modus: Wir geben Konzerte und unterrichten junge Student:innen. Wenn wir aus dem Unterricht in Lübeck kommen, ist es immer ein schönes Gefühl: Denn ich kann immer weiter lernen … das ist wichtig.

Ihr verbringt viel Zeit miteinander und probt in demokratischer Eigenregie. Wie höflich übt ihr aneinander Kritik?

Maria Rallo Muguruza Wir arbeiten auf so einer persönlichen Ebene, dass man direkt etwas sagen kann, ohne dass jemand beleidigt ist. Wir wissen, es ist alles mit Liebe gemeint. [Lacht.]

Felix Heckhausen Wobei es berühmte Quartette gibt, die sich aufgelöst haben, weil sie es nicht mehr miteinander ausgehalten haben! [Lacht.]

Clara, gibt es für dich eine besondere Herausforderung bei diesem Programm?

Clara Bellegarde Die Harfentechnik bei Caplet ist schon sehr schwierig – wenn man allein spielt und auch im Zusammenspiel. Es gibt sehr viele Effekte, der Rhythmus und die Harmonien sind für das Gehirn nicht unbedingt logisch. Man braucht schon viel Übung, um das im Griff zu haben, damit man seine ganze Energie einbringen und dem Stück Ehre erweisen kann. Die Herausforderung ist, die Technik so gut zu meistern, sich davon zu befreien und damit so wohlzufühlen, dass man das Publikum mit in Caplets bildhafte Welt nehmen kann. Selbst wenn es die Geschichte nicht kennt, muss es sich vorstellen können, was darin passiert: Wenn ich auf das Holz der Harfe klopfe zum Beispiel, ist es, als würde die Pest an die Tür klopfen …

Gibt es auch die Idee, mit dem gesamten Programm eine durchgehende Geschichte zu erzählen?

Clara Grünwald Ich glaube, das Programm ist für alle im Großen und Ganzen schlüssig, weil es umrahmt ist von den zwei Harfenstücken und es in der Mitte Gedanken von und mit Schumann besitzt, über deren Verbindung man nachdenken kann. Mal hört man, wie das Quartett alleine klingt, dann wieder mit der Harfe, mal geht es in eine modernere Richtung, dann in eine klassisch-romantische Stimmung … Ich weiß gar nicht, ob man bei einem Konzert immer in Worte fassen muss, was es erzählt. Denn das ist ja gerade auch das Schöne bei Musik: dass sie für jeden etwas anderes erzählt, in jedem etwas anderes auslöst.

 

Das Gespräch zum Sonderkammerkonzert führte Teresa Grenzmann am 12. November 2025.