„DIE GANZ BRAVEN ROLLEN KONNTE ICH NOCH NIE“

ARIADNE AUF NAXOS. In der Titelpartie der gefeierten Inszenierung von Dmitri Tcherniakov kehrt die Sopranistin Anja Kampe am 16. November für vier Aufführungen an die Staatsoper zurück. Ein Gespräch über die Nahbarkeit der Tragödie, magische Bühnenmomente und das unaufhörliche Kennenlernen einer Figur, die immer auch ein bisschen rätselhaft bleibt.

Anja Kampe
© ×
Sasha Vasiljev
Anja Kampe

Wenn wir über die Besonderheit dieser Produktion sprechen möchten, müssen wir bei der Besonderheit der Oper selbst anfangen. Denn welche Oper außer Strauss‘ Ariadne auf Naxos, uraufgeführt 1916, schafft schon einen derart kunstvollen Spagat zwischen seria und buffa, zwischen Tragödie und Komödie.

Wenn es nur darum geht, gibt es vielleicht keine andere. Aber natürlich besitzt jede gute  Komödie meistens auch etwas Tragisches, ganz einseitig ist es nie. Vor 100 Jahren war es ein großes Experiment, beides zusammenzuführen und die Themen zu verstricken. Ich glaube, das war nicht einfach für den Komponisten Strauss und den Librettisten Hofmannsthal, da zusammenzufinden. Und doch ist es am Ende gelungen.

Dennoch bleibt Ihre Partie der Ariadne in der Tragödie verhaftet. Sie ist die einzige Rolle, die nicht ausbrechen darf.

… mit Ausnahme des Vorspiels, da kann sie als Diva „die Sau rauslassen“ – wobei sie in dieser Inszenierung auch nur spielt, dass sie entsetzt wäre. Aber Ariadne ist die Figur der Tragödie, ja. Denn für die andere Seite ihres Inneren gibt es eine andere Rolle: Zerbinetta, ihren Gegenpart. Eigentlich sind sie eine Person. Zerbinetta zeigt an einigen Stellen, dass sie gar nicht nur die Oberflächliche, Kokette ist, als die sie gern dargestellt wird. Sie stammt ja aus der Commedia dell’Arte, wo jeder Figur ein bestimmter Charakter zugeordnet ist. In unserer Inszenierung aber hat sie Verständnis für Ariadne. Sie bleibt flatterhaft, besitzt aber ein großes Empathievermögen, wodurch es wirklich tiefe Momente gibt.

Was lässt sich im Rückschluss über die Ariadne sagen?

Auch Ariadne ist ein sehr empathischer Mensch. Sie ist in ihrer Trauer versunken, in einer komplett anderen Welt, nur noch von Todessehnsucht bestimmt. Alle in dieser Inszenierung versuchen, ihr da herauszuhelfen, kaspern herum … Durch Zerbinetta lässt sie sich vielleicht ein bisschen mehr von ihrer Menschlichkeit einfangen. Aber erst das Erscheinen von Bacchus, den sie ja für jemand ganz anderen hält, entzieht sie der Welt des Todes und bewirkt eine Verwandlung.

Beim Stichwort Menschlichkeit: Dmitri Tcherniakovs Inszenierung entfernt sich von Mythologie und Künstlichkeit, er verlegt die Oper in eine großbürgerliche Szenerie. Was bedeutet das für Ariadne?

In Strauss‘ Oper wird Ariadne sitzengelassen, in dieser Inszenierung stirbt ihr Mann. Die Trauer ist eine tragischere, eine stärkere. Sie ist nicht verbittert, nur zutiefst verletzt, dass der Tod ihr den geliebten Mann genommen hat. Das vermenschlicht das Ganze, weg von der Mythosfigur Ariadne: Da ist eine Frau, die plötzlich als Witwe trauert. Man weiß, dass Hofmannsthal in die Figur der Ariadne die Geschichte einer Gräfin eingearbeitet hat, die er kannte und deren Mann plötzlich verstorben ist. Gleichzeitig wirft eine Inszenierung, die näher am Heute, am Leben ist, deren Figuren menschlicher sind, wenig Göttliches haben, auch neue Fragen auf. Es fällt mir schwer, das Schlussduett von Ariadne zu entziffern. Hier hat es fast schon etwas von Psychoanalyse, man weiß aber nie genau, worum es geht.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie sich der Figur der Ariadne nähern. Was passiert im Laufe der Jahre mit solch einer Rolle?

Man nimmt normalerweise immer etwas von vorangegangenen Inszenierungen mit hinein, das kann man nicht ganz abschalten. Jede Inszenierung öffnet den Kopf ein bisschen mehr und gibt einen größeren Einblick in die Rolle, sie wird kompletter. Das erste Mal habe ich die Ariadne als zweite Besetzung in Madrid gesungen, das war eine Wiederaufnahme einer Produktion aus Covent Garden. Dann habe ich sie mal in München gesungen und danach viele Jahre nicht mehr. Für die Stimmhygiene finde ich es wichtig, ein paar lyrische Rollen unter die großen Partien wie die Brünnhilde oder Isolde zu mischen. Ich gehe die Rolle heute aber auch stimmlich ganz anders an als vor 13, 14 Jahren. Ich kannte Tcherniakov und wollte die Ariadne wieder in mein Repertoire bringen. Und ich glaube, sie ist mir jetzt besser gelungen und kann sich noch weiterentwickeln. Mein Gerüst steht, aber jeder Denkanstoß von außen ist mir lieb – ich bin gerne bereit, weiterzuarbeiten und weiterzudenken, auch: wegzukommen von dem, was sich schon festgesetzt hat. Wenn man die Rollen immer auf die gleiche Art und Weise macht, kann irgendwann auch eine gewisse Sättigung eintreten.

Was motiviert Sie denn an erster Stelle, eine Rolle zuzusagen?

Vor allem muss sie etwas Interessantes haben, was mich stimuliert, herausfordert, meine Neugierde weckt. Die ganz braven Rollen konnte ich noch nie. Die Agathe im Freischütz oder Elisabeth im Tannhäuser … mit solchen Partien kann ich nicht so viel anfangen. Ich brauche lebendige, psychologische Figuren, die ein bisschen mit sich kämpfen, die gegen andere kämpfen, die auch mal extrem werden. Bei den wirklich spannenden Figuren wie der Isolde oder der Brünnhilde in der Götterdämmerung findet man immer wieder so viele neue Facetten, hat man also immer weiter zu lernen und viel zu entdecken. 

„Musik ist eine heilige Kunst“, singt der Komponist bei Strauss. Trifft diese Überzeugung auch auf Sie persönlich zu?

Mir ist die Musik insofern heilig als sie mein Leben füllt – sie ist das, wofür ich brenne, wofür ich lebe. Aber nicht nur die Musik: Für mich war auch der theatralische Aspekt immer wichtig. Ich singe auch Konzerte, aber viel lieber bin ich auf der Bühne. Ich genieße es, da oben zu stehen. Das ist meine Welt, darin kann ich total versinken, völlig aufgehen, und auch nach so vielen Jahren liebe ich das noch immer sehr! Vor allem, wenn es Momente gibt, in denen alles zusammenkommt: die Kollegen, das Orchester, der Dirigent, die Inszenierung … der richtige Abend, an dem man sich wohlfühlt und in Form ist. Diese Momente gibt es nicht oft, aber wenn es passiert, dann hat es wirklich etwas Magisches!

 

Das Gespräch mit Anja Kampe führte Teresa Grenzmann am 3. November 2025.