Im Dialog
Herbert Howells
war 27 Jahre alt bei Komposition des Werks
Rhapsodisches Quintett für Klarinette und Streichquartett op. 31
Rhapsodisch: aus dem Griechischen von rhápto = „zusammennähen“ und odē = „Gesang“
Wie viele Werke von Howells ist auch sein Rhapsodisches Quintett ausgesprochen liedhaft. So kam seine Vorliebe für Streichinstrumente und Klarinette auch daher, dass sie in ihrem Charakter und ihrer Melodiösität der menschlichen Stimme besonders nahe kommen. Etwa 25 Jahre nach Veröffentlichung von Howells Klarinettenquintett wurde von Adolphe Sax auf Basis der Klarinette das Saxophon erfunden, über das der bekannte Jazz-Saxophonist Stan Getz einmal sagte: „Wenn du ein Instrument willst, das singt, dann spiel’ Saxophon. Im besten Fall ist es wie die menschliche Stimme.“
Was ist an Howells Musik reizvoll für einen Saxophonisten?
HIROAKI TAEWOOK AHN (SAXOPHON):
Die Idee, dieses Stück mit Saxophon statt mit Klarinette zu spielen, kam ursprünglich nicht von mir. Beim Arbeiten daran habe ich aber gemerkt, wie natürlich Howells’ Melo- dien wie eine menschliche Stimme fließen. Der warme Klang und das reiche Vibrato des Saxophons verstärken diese Ausdruckskraft noch. Seine Musik hat eine Freiheit, die es erlaubt, fast sprechend zu singen – das finde ich besonders schön.
Eine Rhapsodie bezeichnete ursprünglich ein aus Einzelgesängen zusammengesetztes, von Wanderern (Rhapsoden) vorgetragenes episches Gedicht. In Howells Quintett bezieht sich „rhapsodisch” darauf, dass es sich um ein einsätziges Werk handelt, das mehrere Melodien und Themen beinhaltet. Die Musik wandert von einer Stimmung in die nächste, wobei sehr lyrische, gedämpfte Phrasen zwischen energiegeladenerem Material eingebettet sind. Howells selbst beschrieb das Quintett als ein Werk mit „mystischer Qualität“.
Welche Stimmung lässt sich mit der Bratsche besonders gut umsetzen?
IRIS ICELLIOGLU (VIOLA):
Die Bratsche hat so eine warme und sehr innige Stimme – das passt, finde ich, einfach wunderbar zu dieser mystischen Atmosphäre. In dieser Besetzung ist sie für mich wie eine sehr neugierige Person, sie ist in Dialog mit allen, reagiert auf jede Stimme und möchte am Ende auch noch ihre eigene Meinung sagen. Bei Howells gibt es einige spielerische, fast tänzerisch-rhythmische Stellen, die trotzdem dieses mysteriöse, geheimnisvolle Gefühl behalten. Gerade dort finde ich den Klang der Bratsche besonders spannend und lebendig!
Kurt Weill
hat die Oper im Alter von 27 Jahren komponiert
Suite aus der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“
über eine fiktive Stadt in der nordamerikanischen Wüste
Kurt Weill sagte während der Mahagonny-Entstehungszeit: „Musik wirkt stärker als Worte. Brecht weiß das, und er weiß, dass ich es weiß.“ Dennoch bildeten für ihn die Charaktere und ihre Texte den Ausgangspunkt für seine Musik. In der Suite „singt“ das Saxophon – für Weill das Instrument, das den „sprechenden Charakter“ der menschlichen Stimme am besten nachahmt – die Solostimme, gelegentlich unterstützt von oder im Wechsel mit der ersten Violine. Auch die Streicher übernehmen Gesangsparts wie die Chorpartien, während das Klavier Sprechrhythmen wiedergibt.
Wie werden die Charaktere der Figuren auf einem Instrument wie z.B. der Geige zum Ausdruck gebracht?
TUAN CUONG HOANG (VIOLINE):
Es gibt verschiedene Spieltechniken, mit denen man auf der Geige unterschiedliche Klangfarben und Artikulationen hervorbringen und so einen bestimmten Charakter verdeutlichen kann: mit der linken Hand z.B. durch schnelles oder langsames Vibrato bzw. das Weglassen davon, oder mit der rechten Hand durch unterschiedliche Bogengeschwindigkeiten und -techniken wie spiccato (deutlich abgesetzt, klar artikuliert), legato (gebunden), flautando (am Griffbrett, wörtlich „flötenartig“) oder sul ponticello (am Steg). Auch die Gestaltung von Phrasierung, die Agogik und Tempiwechsel wie accelerando (schneller werdend) oder ritenuto (im Tempo zurückgehalten) haben großen Einfluss auf den Ausdruck und Charakter einer Melodie.
Weills Mahagonny-Oper entstand in mehreren Etappen: er komponierte zunächst fünf Mahagonny-Gesänge aus Brechts Hauspostille und fasste sie in einem „Songspiel“ zusammen, das 1927 in Baden-Baden aufgeführt wurde. Er nutzte es als Stil-Studie für das spätere Opernwerk, das 1930 in Leipzig Premiere feierte. In der Zwischenzeit war auch die Orchestersuite eingerichtet worden, auf deren Basis wiederum das heute gespielte Arrangement entstanden ist.
Dmitri Schostakowitsch
erhielt für das Werk den Stalinpreis und den Rotbannerorden
Klavierquintett g-Moll op. 57
im Alter von 34 Jahren komponiert
Nur wenige Jahre vor Entstehung seines Klavierquintetts war Schostakowitsch nach einem Besuch Stalins bei einer Aufführung seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk starken Denunziationen ausgesetzt; einige Werke kamen auf den Index, er fürchtete um sein Leben. Er konnte sein politisches Umfeld nicht ausblenden, und musste mit jedem neuen Werk äußerst vorsichtig agieren – so verwundert es nicht, dass er zu- nächst einige Jahre in neoklassizistischem Tonfall komponierte.
Inwiefern beeinflusst einen als Musiker die Außenwelt?
PETAR KOSTOV (KLAVIER):
Alles, was wir Musiker erleben – politisch, gesellschaftlich, emotional – prägt unsere Sensibilität. Wenn wir musizieren, bringen wir all diese Erfahrungen mit. Gerade bei Schostakowitsch spürt man dieses Spannungsfeld zwischen Angst, Anpassung und innerem Widerstand besonders stark. Auch wir müssen in unserer Zeit mit äußeren Spannungen umgehen – und das fließt, oft ganz unbewusst, in unser Spiel ein. Wir spielen heute seine Musik – er aber musste sie damals erschaffen. Für ihn war das Komponieren ein existenzieller Ausdruck, vielleicht sogar eine Überlebensstrategie. Durch unsere Sensibilität und unser Einfühlungsvermögen können wir diese Emotionen nachvollziehen und sie durch unsere eigene Erfahrung in Klang verwandeln.
Die Ideen für den Beginn seines Quintetts schöpfte Schostakowitsch aus Bachs Musikwelt – ein spannungsvolles Satzpaar aus Präludium und Fuge. Auch die kristallklare Linienführung erinnert an Bach, jede Note erscheint exakt kalkuliert. Prokofieff sah das kritisch: „Er riskiert nie etwas.“ Doch genau diese Zurückhaltung prägt den unverwechselbaren Schostakowitsch-Ton und führt zu Musik mit großer innerer Spannung.