FRAMING the REPERTOIRE

von Jutta Toelle
(zwoelf Ausgabe 37 – 2025/2026, S. 18)
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Christina Körte

Kooperation zwischen HfMT und dem neuen Intendanz-Team der Staatsoper

Mit Spielzeitbeginn im September 2025 bekam die Hamburger Staatsoper eine neue Leitung, mit der die HfMT von Anfang an Kooperationen auf verschiedenen Ebenen anstrebt. Eine Kooperation dreht sich um eine neue Reihe des Teams um Intendant Tobias Kratzer, die den Repertoirevorstellungen des Opernhauses einen Rahmen geben soll: FRAMING the REPERTOIRE. Die Reihe geht in Gesprächen, Vorträgen und künstlerischen Interventionen dem Repertoire der Staatsoper auf den Grund und setzt jede Inszenierung in einen aktuellen wie zeitgeschichtlichen Kontext. Was bedeutet das geliebte – und auch das ungeliebte – Repertoire für ein Opernhaus und wie kann ein zukunftsgewandetes und innovatives Haus damit umgehen? In FRAMING the REPERTOIRE wird kontextualisiert, warum ein Opernhaus einerseits ein „Panoptikum der allerjüngsten globalen Vergangenheit“ präsentiert, wie es zur ersten Premiere Das Paradies und die Peri hieß, und es andererseits heute Tosca, morgen La Traviata und übermorgen Lohengrin spielt. Warum ist das so? Dieser eigentlich übergroße Widerspruch wird zum Aufhänger und Thema eines Seminars, das im Wintersemester an der HfMT beziehungsweise der Staatsoper stattfindet, geleitet vom Dramaturgie-Team der Staatsoper und mir als Professorin für Musikwissenschaft. 

Oper – eine verstaubte Angelegenheit?

Eine Oper kann unfassbar romantisch sein, eine überzeitliche, ewiggültige Botschaft beinhalten und dem Publikum utopische Momente bescheren. Gleichzeitig ist sie eine extrem teure und aufwändige Kunst und wird immer wieder auch als gestrig, heillos veraltet und bloßes Museum alter Meister gesehen. Schließlich ist das Gros der meistgespielten Stücke über 100 Jahre alt, die Themen und Libretti der Werke sind oft kitschig, meistens kompliziert und manchmal eigentlich nicht mehr vermittel- oder aufführbar. Das ist alles Ansichtssache… 

Oper – eine kulturelle Grundversorgung! Hochkultur für alle!

Betrachtet man allerdings die allabendliche Arbeit eines öffentlich subventionierten mitteleuropäischen Opernhauses mit durchgehendem Spielbetrieb genauer, grenzt das punktgenaue, vielschichtige und komplexe Ineinanderarbeiten der verschiedensten Gewerke – Orchester, Titelrollen, Bühnentechnik, Chor, Kostüm, Dramaturgie – Vorstellung für Vorstellung an ein Wunder. Und dass 1500, 2000, 3000 Menschen verschiedenster Herkunft dem in Stille zuhören und zuschauen, auch! Oper funktioniert in Deutschland – und in wenigen anderen Ländern – als sehr zugängliche und öffentlich subventionierte Hochkultur. Ein Opernhaus bietet eine Art Grundversorgung der Bevölkerung mit Kunst an, und darin wurzelt auch der heutige Anspruch, dass das Kunstgenre auf lokale und sogar globale, politische wie soziale Herausforderungen reagieren und gleichzeitig Repertoirestücke abfeiern soll. 

Der Umgang mit diesen Repertoirestücken – ja genau, immer dieselben Stücke mit immer derselben Musik und Handlung, aber anderen Regieideen und vor allem anderen Ausführenden – ist eine ganz besondere Herausforderung. Sie bilden in gewisser Weise das Rückgrat eines Opernhauses und seines Publikums, sie sind eine Art gemeinsam gelerntes Wissen des Publikums und bilden dessen Erfahrungsschatz, in enger räumlicher Verknüpfung mit dem Haus. Eigentlich eine wahnsinnig interessante Forschungsfrage: Wie funktioniert ein Opernpublikum und dessen kollektive wie individuelle Erinnerung? An was erinnert sich das Publikum von Konwitschnys Lohengrin-Inszenierung von 1998, die in der kommenden Spielzeit in Hamburg wieder aufgenommen wird? An einzelne Augenblicke oder Szenen, an bestimmte Bilder oder an musikalische, sängerische Ereignisse? Und, um bei dem konkreten Beispiel zu bleiben, wie funktioniert eine Neuaufnahme oder Neueinstudierung einer Inszenierung, wie wird sie überliefert? Denn im Repertoirebetrieb hat sich eingebürgert, dass Stücke zwar lange im Spielplan bleiben – auch mit wechselnder Besetzung –, dass eine Neuproduktion, eine Neudeutung aber am Regie-Team hängt. Und man daher besagte Produktion auch den Konwitschny-Lohengrin nennt und eben nicht den Metzmacher-Lohengrin – was davon aber nach 27 Jahren noch vom Regisseur Peter Konwitschny ist und wie das die Jahre überdauern kann, muss dringend auch gefragt werden.

Oper – die Verantwortung einer Inszenierung währt und reift
über Jahre hinweg

Das Repertoire eines Hauses zu untersuchen, also die über Jahre und Jahrzehnte sozusagen gereifte, aber mehr oder weniger zufällig zusammengestellte Gruppe von Produktionen, die irgendwie in ihrer Gesamtheit auch das Image eines Theaters ausmachen, birgt auch eine große Chance. Nirgendwo sonst findet man das kulturelle Wissen der opernbesuchenden Teile einer Stadtbevölkerung so konzentriert vor – in einem Stadttheater kann die Regie davon ausgehen, mit einer Produktion von Lohengrin eine ganze Generation von Opernpublikum zu beeinflussen. Dies bringt auch große Verantwortung mit sich, nicht nur für das jeweilige Regieteam, sondern auch für diejenigen Menschen, die das Haus gerade führen – und gerade für die Hamburger Oper als Nachfolgerin des ersten von Bürgern finanzierten Opernhauses in Deutschland, der ersten Bürgeroper.

Doch zurück zur Lehrveranstaltung: der konkrete Anlass ist der, dass es auch ein Jobangebot der Hamburgischen Staatsoper für alle interessierten Studierenden gibt. Bei allen Repertoirevorstellungen der Saison sollen sogenannte „Guides“ im Haus sein, die mit dem Publikum ins Gespräch kommen und Expertinnen und Fachmänner der jeweiligen Produktion sind. Alle Interessierten bitte anmelden! 

 

Diesen Beitrag durften wir im Rahmen unserer Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg freundlicherweise aus der Semesterzeitung zwölf Ausgabe 37 Wintersemester 2025/202 übernehmen.
 

November 2025