Zeitspiel

Alles ist ein Spiel. Und in diesem Spiel verlieren die Altersgrenzen ihre Bedeutung – ein 60-Jähriger ist so naiv wie ein 10-Jähriger, und ein 10-Jähriger kann so weise sein wie ein 60-Jähriger. Die Welt des Spiels schenkt uns die Freiheit, uns von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen zu lösen. Hier sind wir alle Kinder, manche sind nur älter …
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Hilde Van Mas

In meiner ersten Saison beim Philharmonischen Staatsorchester Hamburg möchten das Orchester und ich Sie einladen, mit uns ein ZeitSpiel zu spielen. Es ist ein musikalisches Vexierspiel, das Zeit und Chronologie in alten und neuen Klängen zusammenführt. Zugleich ist es eine Einladung, die Grenzen des Gewöhnlichen zu überschreiten und aus der Leichtigkeit des Spiels neue Perspektiven auf unsere Musikkultur, unser Denken und Sein zu gewinnen.

Als kultureller Leuchtturm kann Hamburg mit Originalität und Innovation die Musikszene anführen, und Sie, unser Publikum, sollten nichts anderes von uns erwarten. Im Bewusstsein dieser Verantwortung haben wir ein neues Konzept entwickelt; einen spielerischen und spannenden Dialog zwischen Alt und Neu, Tradition und Gegenwart, Kontext und Subtext. Für jedes Programm der Philharmonischen Konzerte dieser Saison haben wir eine:n zeitgenössische:n Komponist:in beauftragt, ein neues Werk zu schaffen, doch – das Spiel ist knifflig. Das neue Stück wird jeweils anstelle eines Satzes in ein klassisches Werk eingewoben und ermöglicht uns damit eine zeitgenössische Reflexion des Originalstücks. Die Spielregeln verlangen, dass der neue Satz einigen konzeptionellen, ästhetischen oder stilistischen Prinzipien des Originalstücks folgt.

Für mein erstes Philharmonisches Konzert beispielsweise habe ich mich entschieden, mit Stephen Hough zusammenzuarbeiten, der Beethovens drittes Klavierkonzert interpretieren wird: als Pianist und Komponist zugleich. Der ursprüngliche zweite Satz wird durch ein neues, von Hough komponiertes Stück ersetzt, das von Beethovens Meisterwerk inspiriert ist.

Ist das nicht aufregend? Beethoven begegnet uns in unserer heutigen Zeit als Spiegel der Vergangenheit und zugleich durch Hough als Teil des Hier und Jetzt! 222 Jahre nach der Uraufführung des dritten Klavierkonzerts mit Beethoven am Klavier sitzt der Komponist und Solist in Personalunion wieder an den Tasten seines Instruments. Dieser musikalische Dialog kann uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen, zeitgenössische Musik zu hören und dabei die künstlerischen Verwebungen zu spüren, die die musikalischen Fäden durch die Jahrhunderte spannen.

Und was passiert mit den fehlenden Sätzen, fragen Sie? Die möchten auch wir nicht missen. Im Rahmen einer Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg werden Dirigierstudierende zum ersten Mal die Gelegenheit haben, unser Orchester zu leiten. Dabei werden wir uns in einem gemeinsamen Proben- und Aufnahmeprozess intensiv mit all diesen Sätzen beschäftigen und die Ergebnisse mit Ihnen teilen – als kleines Spiel des Wiederentdeckens und als Andenken an diese Spielzeit.

Neben den Philharmonischen Konzerten freuen wir uns, Sie zu unserem ersten Konzert der Saison am 14. September in der Elbphilharmonie, ebenso wie zu unserem neuen Festival Die Blaue Woche und einem Silvesterkonzert, das der Lebensfreude und dem grenzenlosen Genuss unserer Musikwelt gilt, einzuladen. Ganz in diesem Sinne lassen wir beim diesjährigen Internationalen Musikfest Hamburg Bernsteins spektakuläre MASS erklingen.

Mit Spannung blicken wir der Kammerkonzertreihe unserer Musiker:innen im Kleinen Saal der Elbphilharmonie entgegen, die das große Kollektiv unseres Klangkörpers in individuellen Besetzungen entwickelt, und nicht zuletzt unserem gemeinsamen Abenteuer im Schmidts Tivoli.

Ich bin sehr glücklich und stolz auf das Programm dieser Saison und danke meinen Partner:innen beim Philharmonischen Staatsorchester und in der Elbphilharmonie, dass sie meine Begeisterung teilen und bereit sind, das Risiko dieses Spiels gemeinsam einzugehen.

No risk, no fun!
Omer Meir Wellber